Nach 11 Jahren Durchführung von Süd-Nord-Freiwilligendiensten haben wir uns als Verein dazu entschieden, mit Beendigung des Jahrgangs 2022/23, d.h. zum 01.09.2023, kein Freiwilligendienstprogramm mehr zu organisieren.
Bevor wir erklären, wie es zu dieser Entscheidung kam, möchten wir kurz unsere 11 Jahre Vereinsarbeit Revue passieren lassen.
Unsere Flugroute der letzten 11 Jahre
Wir haben auf ehrenamtlicher Basis und später mit Unterstützung einer Mini-Job-Stelle zehn Freiwilligendurchgänge mit insgesamt 52 Süd-Nord Freiwilligen organisiert. Wir haben die Freiwilligen und auch die Gastfamilien und Einsatzstellen mit Seminaren und persönlich in den jeweiligen Städten begleitet.
Dafür möchten wir uns bei allen Wegbegleiter:innen von Herzen bedanken – zu aller erst für die sehr gute Zusammenarbeit mit den Partner:innenorganisationen Ts´ununetik (Mexiko), Beyond Nepal, VSO (Uganda), Aves de Paso (Ecuador) und Esperance (Rwanda). Wir möchten uns ganz herzlich bedanken bei allen Freiwilligen, Einsatzstellen und Gastfamilien, ohne die das Freiwilligenprogramm gar nicht möglich gewesen wäre. Ebenfalls sind wir dankbar für die großartige Unterstützung durch die Menschen, die uns im Laufe der Jahre mit der Mini-Job-Stelle einigen bürokratischen Aufwand abgenommen haben. Und nicht zuletzt ein großes Danke an all die Zugvögel überall, die mit ihrem Engagement die Durchführung des Freiwilligenprogramms auf die Beine gestellt und 11 Jahre lang fortgeführt haben.
Wir fliegen seit 2016 mit zwei Flügeln, die zusammen unsere Arbeit bilden: Neben der Durchführung von Freiwilligendiensten sind wir politisch aktiv. Wir haben in den letzten 11 Jahren diverse kleinere und größere Aktionen zu den Vereinsthemen Bewegungsfreiheit, globale Machtungleichheiten und koloniale Kontinuitäten durchgeführt, wie z.B. Vortragsreihen, Filmabende und Straßenperformances, (postkoloniale) Stadtrundgänge, Radiobeiträge, schulische Bildungsarbeit und Sticker-Aktionen, Podiumsdiskussionen und Parteienchecks zu Bundestags- und Europawahlen.
Seit der Einführung von weltwärts Süd-Nord im Jahr 2013 haben wir den Freiwilligendienst nicht mehr nur auf Spendenbasis, sondern im weltwärts Kontext durchgeführt. Dabei haben wir unsere eigene, kritische Perspektive in den Freiwilligendienst eingebracht und versucht, die Machtzusammenhänge, die dieses Programm beinhaltet, ein Stück weit zu hinterfragen und aufzubrechen.
Wieso ändern wir unseren Kurs?
Das wir nun aufhören, Süd-Nord-Freiwilligendienste anzubieten, hat verschiedene Gründe. Ein Freiwilligendienst-Programm ist mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden. Es nahezu ausschließlich auf ehrenamtlicher Basis zu organisieren, war schon immer eine hohe Belastung für die Hauptverantwortlichen. Sinkende Mitgliederzahlen – möglicherweise bedingt oder verstärkt durch das Corona-Loch (weniger Veranstaltungsmöglichkeiten, weniger ausreisende und zurückkehrende Nord-Süd Freiwillige und dadurch weniger Rückkehrendenseminare, um dort für uns zu werben etc.) – haben uns nun an eine nicht mehr tragbare Grenze gebracht: Generelle Müdigkeit, begrenzte Energien und viel zu viel Arbeit auf zu wenigen Schultern. Daher haben wir uns entschieden, unsere Energien anders einzusetzen und neue Wege einzuschlagen.
Neben den Vereins-internen Gründen ist das weltwärts-Programm auch mitverantwortlich dafür, dass wir den Freiwilligendienst nicht weiterführen können. Ein viel zu kleines Budget erfordert für eine gute Durchführung und Begleitung viel ehrenamtliche Arbeit. Die willkürliche, zögerliche, aufwendige und unzuverlässige Visumsvergabe behindert das Programm enorm. Sie führt zu großen Unsicherheiten und verzögert den Ablauf des Programms. Umfangreiche Abrechnungen und andere bürokratische Hürden in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren (BAFza und BFD; BMZ, Engagement Global und weltwärts) nehmen zudem viel Zeit und Energie in Anspruch, die uns dann in der guten, für das Programm essenziellen, Begleitung der Freiwilligen und für politisches und gesellschaftliches Engagement fehlt. Zudem haben wir beobachtet, dass es seit Jahren immer schwieriger wird, Gastfamilien zu finden – in diesem Zuge ist es mit dem weltwärts-Budget schwer, ein adäquates Zuhause, wie z.B. ein WG-Zimmer, zu finanzieren.
Hinzu kommt, dass die Durchführung von Süd-Nord-Freiwilligendiensten zu Beginn unserer Arbeit etwas Innovatives war, was es bis zu dem Zeitpunkt kaum gab und dass im weltwärts-Kontext fehlte. Mittlerweile sind Süd-Nord-Freiwilligendienste zwar immer noch unterrepräsentiert, aber unter weltwärts-Organisationen und darüber hinaus sehr viel weiter verbreitet. Wir sehen, dass gewisse Ziele nun erreicht sind. Doch um die von globalen Machtungleichgewichten durchzogenen Strukturen, in denen wir leben und agieren, zu verändern, braucht es noch andere Mittel.
Uns ist bewusst geworden, dass der Weg zur Verwirklichung unserer Utopie nicht mehr im weltwärts-Freiwilligenprogramm liegt, mit welchem wir über die Jahre immer wieder gehadert haben. Wir standen dem weltwärts-Programm immer in einigen Punkten kritisch gegenüber und jetzt, wo der Freiwilligendienst aus den oben beschriebenen Gründen für uns nicht mehr weiterführbar ist, wollen wir nicht auf Biegen und Brechen an dem Programm festhalten.
Wo soll es jetzt hingehen?
Die Zugvögel sind von der Durchführung von Freiwilligendiensten geprägt. Die Zusammenarbeit mit (jungen) Menschen über Grenzen hinweg ist und bleibt ein Herzensprojekt. Wir haben Lust uns mit unseren Erfahrungen weiterhin im Feld der Freiwilligendienste einzubringen. Darüber hinaus haben wir uns schon immer auch politisch und gesellschaftlich engagiert, woran wir auf unserem neuen Weg anknüpfen können und wollen. Bildungsarbeit soll weiterhin einen großen Teil unserer Arbeit ausmachen. Außerdem möchten wir uns weiter vernetzen. Die Themen Partner:innenschaft im Kontext von globalen Machtungleichheiten, globale Bewegungsfreiheit sowie koloniale Kontinuitäten werden in unserer Arbeit weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Wir sind motiviert, neue Wege zu finden, um unser Selbstverständnis zu realisieren. Hast du Lust mitzufliegen? Wir freuen uns jederzeit über neue Zugvögel-Küken – schreib uns dafür gerne einfach auf dem Kanal deiner Wahl (Kontaktformular, Instagram) und komm dazu!