*dieser Text stellt die Perspektive des Gremiums Freiwilligenprogramm auf die Diskussion bezüglich des Freiwilligenprogramms innerhalb des Vereins dar. Perspektiven der Partnerstrukturen fehlen hier.

 

Seit nunmehr sechs Jahren existiert unser Freiwilligenprogramm, das wir zusammen mit unseren Partnerstrukturen organisieren. Über all die Jahre hat es im Verein auch Einiges an Auseinandersetzung mit ebendiesem Programm gegeben. Dabei steht immer mal wieder im Raum, das Programm ganz abzuschaffen. Doch was genau stört uns Zugvögel an dem Freiwilligenprogramm so sehr?

 

Zunächst einmal wurde uns klar, dass wir uns mit dem weltwärts-Programm in Strukturen begeben, die wir eigentlich kritisieren wollen.

So tun wir uns beispielsweise sehr schwer mit dem Begriff “Entwicklung”, unter dem das weltwärts-Programm läuft. Dieser beinhaltet im herkömmlichen Sinne oft ein Verständnis von linearer Entwicklung, welches Deutschland als “entwickeltes” Land sieht, dessen Entwicklungsweg es lediglich nachzueifern gilt anstatt anzuerkennen, dass diese Einteilung der Welt in “entwickelt”, “weniger entwickelt” und “unterentwickelt” auf koloniale Strukturen verweist (s.Selbstverständnis der Zugvögel). Dadurch, dass weltwärts offensiv als entwicklungspolitisch propagiert wird, ist auch dem weltwärts-Programm dieses neokoloniale Verständnis eingebrannt. Das BMZ tut sich trotz einer vermeintlichen Neuausrichtung an den SDGs (Sustainable Development Goals), die solch ein Verständnis von Entwicklung wenigstens kritisch betrachten, sehr schwer, den Entwicklungsbegriff zugunsten von mehr Augenhöhe im Programm fallen zu lassen.

Zudem stört uns, dass das weltwärts-Programm als Austausch dargestellt wird, jedoch auf ca.3500 deutsche Freiwillige, die pro Jahr von hier in den Globalen Süden entsandt werden, nur ein Kontingent von maximal 800 Süd-Nord-Plätzen jährlich zur Verfügung steht. Dies entspricht nicht unserer Vorstellung eines gleichwertigen Austausches.

Ein weiterer schwerwiegender Punkt stellt für uns die ungleich verteilte Macht zwischen Partnerstrukturen und Aufnahmeorganisation dar. Die Zugvögel als Aufnahmeorganisation beantragen Gelder beim BMZ und geben es weiter an die Partnerstrukturen, wie sie es für richtig halten, mit der Einschränkung, dass weltwärts wiederum nur bestimmte Summen für die Arbeit der Partnerstrukturen abrechnen lässt.
Dadurch können sowohl weltwärts als auch wir als Aufnahmeorganisation jederzeit den Hahn zudrehen, die Partnerstruktur ist völlig dem guten Willen der Aufnahmeorganisation ausgeliefert. Dies zeigt sich schon auf der Website von weltwärts, wo allen Partnerorganisationen zuallererst klar gemacht wird: „All sending organisations in partner countries must work together with an approved weltwärts organisation in Germany. Otherwise, it is not possible to send volunteers to Germany.“ Ohne Aufnahmeorganisation in Deutschland auch kein Freiwilligendienst.
Für uns als deutsche Aufnahmeorganisation jedoch ist es viel einfacher, eine Partnerorganisation in einem Land des Globalen Südens zu finden, da schlicht und ergreifend die Nachfrage nach Süd-Nord-Plätzen noch größer ist als das Angebot.
Dadurch, dass alle Gelder aus dem Globalen Norden stammen, sind die Organisationen aus dem Globalen Süden innerhalb des weltwärts-Programms in allen Bereichen eindeutig mit weniger Verhandlungs- und Entscheidungsmacht ausgestattet. (Zynisch ausgedrückt: „Klarheit über Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen“ heißt auf Seiten der Partnerstrukturen: ich muss nur verstehen, dass ich bei weltwärts keine Macht habe!)

Dies manifestiert sich auch auf struktureller Ebene: Während es hier in Deutschland zahlreiche Verbünde gibt, in denen sich deutsche Aufnahmeorganisationen (Süd-Nord-Programm) und deutsche Entsendeorganisationen (Nord-Süd-Programm) organisieren und vernetzen können, gibt es in den Ländern der Partnerorganisationen häufig keinerlei organisiertes Netzwerk, von dem diese profitieren könnten. Dies führt wiederum auch dazu, dass die Süd-Organisationen und auch zurückgekehrte Freiwillige kaum Möglichkeiten haben, sich zu organisieren und gemeinsam Positionen gegenüber dem weltwärts-Programm zu vertreten. Es ist fast schon erstaunlich, wie wenig das weltwärts-Programm bereit ist, in solche Strukturen zu investieren, wo doch „das weltwärts-Programm über die Kooperation in den Freiwilligendiensten die Partnerschaften zwischen Organisationen in den Partnerländern“ stärken möchte.

Zudem gibt es Zweifel, ob und wie lange Widerstand innerhalb des Systems gut geht.  Je länger wir bei weltwärts sind, desto schwerer wird es uns fallen, uns von den Strukturen, in denen wir uns bewegen, zu lösen, da auch wir Abhängigkeiten entwickeln und uns auf der finanziellen Unterstützung durch weltwärts ausruhen.

 

Nichtsdestotrotz: Das Gremium Freiwilligenprogramm hat sich bewusst dazu entschieden, dennoch weiterhin weltwärts-Gelder zur Umsetzung des Freiwilligenprogramms zu beantragen, um den Freiwilligendienst weiterführen zu können. Bei einem Ausstieg aus weltwärts würden aus unserer Sicht vor allem die finanziellen Einbußen das große Problem darstellen. Wir sind ein Verein, der sich, mit Ausnahme von einer Stelle für Administratives, komplett auf ehrenamtliche Arbeit der Mitglieder stützt, die größtenteils studieren oder schon arbeiten. So sehen wir momentan keine Möglichkeit, den Freiwilligendienst weiterhin in dieser Form anbieten zu können, ohne dass es eine enorme Steigerung unseres Arbeitsaufwandes zur Spendenakquise bedürfte. Wir haben uns so entschieden, weil wir momentan praktisch in diesem Bereich nicht so viel investieren wollen, sondern unsere Zeit lieber für politisches Engagement, auch und besonders im Bereich Süd-Nord-Freiwilligendienste, nutzen möchten.

Wir sehen aber auch praktische Vorteile in der Weiterführung einer Kooperation: so können wir guten Gewissens sagen, dass Gelder aus weltwärts-Töpfen für die Zugvögel „gut angelegt“ ist. Wir sind alle überzeugt von unserer Arbeit als Zugvögel und glauben, dass wir mit dem Geld, das wir vom BMZ erhalten, nicht nur zu Jüngern der Politik des Ministeriums werden, sondern an den richtigen Stellen auch gegenreden und Kritik üben, sodass das BMZ sich nicht einfach unsere Loyalität kaufen kann, sondern wir trotz der Förderung immer noch unseren eigenen Kopf behalten haben.

Weiterhin ist es unserer Meinung nach so, dass wir auch versuchen können, uns in die Prozesse und Strukturen bei weltwärts einzubringen und genau dort unsere Kritik zu äußern, wo sie gehört wird. Das kann zur Folge haben, dass wir es schaffen, nicht nur auf der rein praktischen Ebene der Freiwilligendienste immer wieder vorzuleben, was es heißt, Grenzen zu überwinden, sondern auch das eine oder andere strukturelle Hindernis aus dem Weg zu räumen und so auch den Weg für größere Veränderungen im Feld der Entwicklungszusammenarbeit und speziell der Süd-Nord-Freiwilligendienste zu bereiten.

Ganz wichtig ist es auch, den Prozess zu sehen, der sich hier darstellt: die Entscheidung, weiterhin mit weltwärts zu kooperieren, darf keinesfalls so missverstanden werden, dass wir nun dem weltwärts-Programm auf immer verpflichtet sind. Wir sind auf der Suche nach Alternativen, probieren immer wieder neue Dinge aus und bemühen uns aktiv darum, andere Wege zu finden, die uns mehr finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen. Die Entscheidung für das weltwärts-Programm ist bedingt durch die momentane Situation, die obenstehende Kritik soll dadurch aber auf gar keinen Fall leiser werden. So ist auch dieser Text entstanden: Nur wenn wir es schaffen, weiterhin kritisch zu bleiben, ergibt eine Kooperation mit weltwärts Sinn. Wir wollen uns von der weltwärts-Förderung nicht in der Verfolgung unserer politischen Ziele einschränken lassen und unseren Idealen treu bleiben.

Kategorien: Freiwilligenprogramm