“…und wieder einmal grüßt die Willkür der deutschen Visavergabe-Praxis”
Mit dieser Stellungnahme reagieren wir als Organisation Zugvögel – Grenzen überwinden e. V. auf die Geschehnisse rund um die ehemalige weltwärts-Süd-Nord-Freiwillige Azucena. Dabei machen wir ein weiteres Mal auf die Ungerechtigkeit und Willkür der deutschen Visavergabe-Praxis aufmerksam, die in diesem Vorgang deutlich wurde. Wir positionieren uns klar gegen nicht nachvollziehbare Ablehnungen von Visaanträgen in Deutschland und der EU.
Azucena war als Vertreterin der Organisation Aves de Paso Ecuador, einer Partnerorganisation der Zugvögel und Entsendeorganisation im weltwärts-Programm, auf die Partnerkonferenz von ventao eingeladen, die vom Montag, den 18.06.2018, bis zum Donnerstag, den 21.06.2018, in Frankfurt am Main stattfand. Als Qualitäts- und Interessenverbund von Aufnahme- und Entsendeorganisationen, die Freiwilligendienste im Rahmen des weltwärts-Programms des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (kurz: BMZ) organisieren, ist ventao für die Förderung des Austauschs innerhalb „entwicklungspoltischer Partnerschaften“ zuständig, so heißt es auf der Website von ventao.
Gerade Partnerkonferenzen stellen wichtige Zusammenkommen dar, um einen persönlichen Austausch zwischen Organisationen und Menschen aus Ländern des Globalen Südens und des Globalen Nordens in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zu ermöglichen. Wir als Zugvögel sehen darin vor allem auch einen ersten und notwendigen Schritt in Richtung einer “Partnerschaft auf Augenhöhe”, die wir uns zum Ideal setzen.
Wir sind uns bewusst, dass solch eine Partnerschaft im Kontext der aktuellen Macht-, Politik- und Wirtschaftsverhältnisse noch lange nicht erreicht ist. Auch wenn “Augenhöhe” unser Anspruch ist, wird uns immer wieder aufgezeigt, dass Menschen aus dem Globalen Süden Rechte und Privilegien abgesprochen werden, zu denen Menschen aus dem Globalen Norden ganz selbstverständlich Zugang haben. Dies ist kein Zufall, sondern hängt mit politischen Entscheidungen in der deutschen und europäischen Politik zusammen.
Der Fall von Azucena, die vor einigen Jahren einen weltwärts-Freiwilligendienst in Deutschland gemacht hat und nun als Mitglied unserer ecuadorianischen Partnerorganisation zur ventao-Partnerkonferenz eingeladen wurde, macht genau das wieder deutlich: Globale Ungleichheit und eine rassistische deutsche Visavergabe-Praxis prägen grundlegend die Zusammenarbeit von Süd und Nord und betreffen insbesondere Menschen aus Ländern des Globalen Südens. Azucenas Visumsantrag wurde vor einer Woche von der deutschen Botschaft in Quito mit folgender Begründung abgelehnt: „Sie haben nicht den Nachweis erbracht, dass Sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensmittelunterhalts für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts oder für die Rückkehr in Ihren Herkunfts- oder Wohnsitzstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat verfügen, in dem Ihre Zulassung gewährleistet ist, oder Sie sind nicht in der Lage, diese Mittel rechtmäßig zu erlangen.“
Diese Begründung ist in jeder Hinsicht unverständlich, da sowohl ventao als auch die Zugvögel dem Visumsantrag ein Schreiben beigelegt hatten, in dem beide Organisationen erklären, dass jegliche Kosten von Azucenas Aufenthalt durch Förder- und Eigenmittel der beiden Vereine übernommen werden können. Es ist zudem äußerst paradox, dass die Teilnahme an einer Veranstaltung, die globalen Austausch fördern soll und unter anderem mit Geldern des BMZ gefördert wird, durch ein abgelehntes Visum und somit durch eine den deutschen Staat vertretende Instanz selbst verhindert wird.
Kein Einzelfall
Fälle wie der von Azucena sind wie bereits erwähnt kein Zufall, sondern ein viel zu gängiges Phänomen. Während Menschen mit deutschem Pass fast in alle Länder der Welt reisen können, bleibt Menschen aus den meisten Ländern des Globalen Südens diese Möglichkeit verwehrt: Ihre Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt, ein Produkt ungleicher globaler Machtverhältnisse. Die Visaablehnungsquote aus Ecuador liegt 2017 beispielsweise bei 12,56 %, womit Ecuador sogar noch deutlich unter dem Durchschnitt vieler afrikanischer Länder liegt. Statistiken des Auswärtigen Amtes zufolge sind besonders Menschen aus afrikanischen Ländern von abgelehnten Visaanträgen betroffen. 22 % der Anträge aus afrikanischen Ländern werden abgelehnt. Die Ablehnungsquote von ecuadorianischen Visa-Anträgen ist mit 12,56 % überdurchschnittlich hoch, wie eine Anfrage der Linken im Bundestag ergab.
Die Ablehnungen von Visaanträgen verwehrt auch immer wieder Menschen die Teilnahme an internationalen, von deutschen Ministerien veranstalteten Konferenzen, wie uns das Beispiel von Azucena abermals schmerzhaft vor Augen geführt hat. Die Organisation VolNet e. V. berichtet in einer Dokumentation ebenfalls von dem Scheitern eines Partnerbesuchs durch abgelehnte Visaanträge. Beispiele wie diese zeigen deutlich die Einschränkung der Reise- und Bewegungsfreiheit von Menschen aus dem Globalen Süden und die Hürden bei der Organisation von Süd-Nord-Freiwilligendiensten auf, die eine Partnerschaft auf Augenhöhe verhindern. Nicht nur die Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen wird dadurch erschwert. Oft haben die Freiwilligen, die an weltwärts teilnehmen möchten und bereits vom Programm akzeptiert wurden, mit Problemen bei der Visavergabe zu kämpfen: Seit Beginn der Pilotphase von weltwärts sind 79 Fälle dokumentiert, bei denen Freiwilligen das Visum verweigert wurde, davon 64 aus afrikanischen Ländern. Diese Angaben beruhen jedoch rein auf freiwilliger Meldung der Fälle durch die Aufnahmeorganisationen in Deutschland bei Engagement Global, der Zentralstelle im weltwärts-Freiwilligendienst. Nachzulesen ist dies in einem Antwortpapier der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag.
Auch wenn diese Zahl zunächst bei einer Gesamtzahl an Süd-Nord-Freiwilligen jährlich von bis zu 800 nicht hoch aussehen mag: Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich deutlich höher. Außerdem, und das ist unserer Meinung nach noch viel unverständlicher, handelt es sich hier um abgelehnte Visa für Menschen, die sich nach einem aufwendigen Auswahl- und Bewerbungsprozess entschlossen haben, in Deutschland einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Dass diesen Menschen mit fadenscheinigen Begründungen wie “Zweifel an Motivation und Rückkehrbereitschaft der Antragsstellenden”, “fehlende familiäre und wirtschaftliche Verwurzelung im Heimatland” oder “der Freiwilligendienst passe nicht in die konkrete Lebensplanung der Antrag- stellenden” (vgl. Papier der Bundesregierung, S.9) dabei auch noch Steine in den Weg gelegt werden, ist für uns weder nachzuvollziehen noch hinzunehmen. Zudem stellt eine solche Praxis die Auswahlkompetenz der im Heimatland der Freiwilligen agierenden Partnerorganisationen massiv infrage und untergräbt Bemühungen um partnerschaftliche Zusammenarbeit.
Unsere Forderungen
Damit eine deutliche Annäherung an eine Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Organisationen und Menschen des Globalen Südens und des Globalen Nordens möglich ist, fordern wir:
- Das Einstellen zusätzlicher Einschränkungen von Seiten der Bundesregierung und ihren vertretenden Instanzen im persönlichen Kontakt zwischen Partnerorganisationen und allen am Austausch beteiligten Personen.
- Wenn die deutsche Politik anscheinend wenig Interesse daran hat, strukturellen Rassismus abzubauen und ungleichen, globalen Machtverhältnissen entgegenzuwirken, sondern lediglich am entwicklungspolitischen Nutzen für Deutschland interessiert ist (siehe DeVAL Bericht 2017), fordern wir mindestens eine Unterstützung bei der Organisation eines Freiwilligenprogramms im Sinne partnerschaftlicher Zusammenarbeit. Aktuell beobachten wir eher die Einschränkung von Bewegungsfreiheit, Reproduktion von strukturellem Rassismus und die Durchsetzung von alleinig nationalen Interessen. Azucena hat, vor allem als Mitglied der Partnerorganisation, das Recht darauf, an einer Partnerkonferenz teilzunehmen. Sie hätte vor allem durch ihre Teilnahme nachhaltig zur Verbesserung von Partnerschaftlichkeit und Freiwilligenprogramm beitragen können. Es ist notwendig, dass die Interessen beider Seiten in einer Partnerschaft gleichwertig zum Ausdruck kommen können und berücksichtigt werden. Dies ist nur durch regelmäßigen und persönlichen Austausch möglich.
- Mehr Transparenz über den Prozess der Visavergabe in Deutschland und die Berichterstattung über den Stand der Süd-Nord Komponente von weltwärts-Freiwilligendiensten im Bericht des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit (DeVal). Ohne diese Transparenz wird die Einschränkung von Bewegungsfreiheit, die auf Rassismen beruht und ungleiche Machtverhältnisse aufrechterhält, im öffentlichen Diskurs unsichtbar.Das Beispiel von Azucena zeigt, dass die Ablehnung von Visaanträgen oft von nicht nachzuvollziehenden Begründungen durch den deutschen Staat gestützt wird. Dahinter verbergen sich nach unserem Verständnis institutionelle und strukturelle Rassismen. Menschen aus dem Globalen Süden werden in diesem Kontext ihre Rechte und letztendlich der Status als vollwertige Personen abgesprochen.
Gegen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die vom jeweiligen Pass oder Herkunftsland abhängig gemacht wird, sprechen wir uns hiermit deutlich aus. Wir wollen weiterhin dagegen angehen und fordern zur Reflexion eigener entwicklungspolitischer Praxis und zum Abbau von institutionellen Rassismen auf.